Die Frauen der Bibel - Hagar und Lea
Die Bibel ist voller Geschichten von Menschen und ihrem ganz persönlichen Lebensweg mit Gott. Jeder dieser Lebenswege ist einzigartig und aus jedem können wir zugleich Impulse für unser eigenes Leben gewinnen – sei es, dass in ihnen etwas aufleuchtet, das sich auch in unserem eigenen Leben widerspiegelt, oder sei es, dass sie uns sensibler und aufgeschlossener machen für andere Menschen und ihre Lebensgeschichten. Denn die Bibel führt uns keine großartigen Helden vor Augen, sondern Menschen wie uns mit ihrem Sehnen, ihren Sorgen und ihren inneren und äußeren Kämpfen. Dieser Artikel soll zusammen mit noch folgenden einen Blick auf die Frauen der Bibel werfen und insbesondere auf die, die missverstanden und verkannt wurden.
In der Geschichte des Stammvaters Abraham und seiner Frau Sara spielt die Sklavin Hagar nur eine untergeordnete Rolle. Sie hat keine eigenen Rechte und muss ihrer Herrin Sara gehorchen, als diese ihr befiehlt, mit Abraham zu schlafen, um endlich den lang ersehnten Sohn zu empfangen, der Sara scheinbar verwehrt ist. Als Hagar schwanger wird, entspinnt sich zwischen den beiden Frauen ein Ringen um ihren Rang in diesem Beziehungsgefüge. Für einen Moment sieht sich Hagar als bedeutsam und geachtet und führt ihre Überlegenheit Sara vor Augen, sodass diese alle Register zieht, um Hagar auf ihren rechtmäßigen Platz als Sklavin zu verweisen. Verzweifelt und erniedrigt flieht Hagar schließlich in die Wüste, bis sie vor Erschöpfung zusammenbricht. Und gerade an ihrem tiefsten Punkt begegnet ihr Gott, der sie in ihrem Elend sieht und voller Mitgefühl an ihrer Seite ist. Durch die Worte, die er ihr zuspricht, erkennt sie sich als wertvoll und geliebt und zugleich ihren ungeborenen Sohn Ismael („Gott hört”) als Geschenk Gottes, und so kann sie zurück zu Abraham und Sara kehren. Auch wenn sich ihre Beziehung zu Sara nicht verbessert, trägt sie in sich die Erinnerung an dieses einschneidende Erlebnis, und das gibt ihr Kraft durchzuhalten.
Als Sara schließlich vierzehn Jahre später in hochbetagtem Alter den durch Gott versprochenen Sohn Isaak empfängt, ist Hagars Schicksal erneut in der Schwebe. Auf Saras Betreiben hin schickt Abraham Hagar mit ihrem Sohn Ismael aus dem Lager fort und sie muss in eine ungewisse Zukunft aufbrechen. Und auch hier zeigt Gott ihr, dass er an ihrer Seite ist. Sie und ihr Sohn werden nicht nur durch lebensspendendes Wasser in der Wüste, durch die sie ziehen, versorgt, sondern sie wird die Stammmutter eines großen Volkes, der Ismaeliten. Hagar, deren Name Bedeutungen wie „die andere”, die „Außenseiterin” und „Flucht” hat, erlebt, wie sie von Gott ihre unverbrüchliche Würde zugesprochen bekommt – unabhängig davon, was andere von ihr halten.
Ähnlich erlebt es auch zwei Generationen später Lea, die ungeliebte erste Ehefrau von Isaaks Sohn Jakob. Im Schatten ihrer bildschönen Schwester Rahel stehend erhält sie die zögerliche Zuwendung Jakobs nur durch die List ihres Vaters, der sie ungefragt Jakob als erste Ehefrau unterjubelt. Dieser fühlt sich hintergangen, da er doch Rahel liebt und nicht Lea. Schließlich bleibt allen dreien nichts anderes übrig, als sich in dieser Doppelehe zu arrangieren, aber deutlich bleibt, dass Lea sich zweitrangig und ungewollt fühlt. Gott sieht ihre Traurigkeit und Verzweiflung und beschenkt sie mit insgesamt sieben Kindern. Mit jedem ihrer Kinder – die Bedeutungen ihrer Namen versinnbildlichen dies, so heißt etwa ihr sechster Sohn Sebulon („Anerkennung”) – schafft Lea es ein Stückchen mehr, ihre Trauer zu verarbeiten und sich nicht mehr mit Rahel zu vergleichen. Sie richtet ihren Blick nicht mehr auf ihre Lebensumstände, sondern auf Gott, der ihr seine Liebe und Zuneigung zeigt. Lea wird von Gott in besonderer Weise gesegnet: Sie wird zusammen mit Rahel zur Stammmutter der zwölf Stämme Israels und als Mutter von Juda Urahnin von Jesus.
