Unterschiedlichkeit
In meinem Beruf als Dozent arbeite ich jeden Tag mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Seit 2018 lerne ich damit umzugehen. Dabei war und bin ich konfrontiert mit Menschen mit unterschiedlichem Aussehen, Gerüchen, Auffassungen zu Werten wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Familie oder Respekt. Trotz dieser langen Übung merke auch ich, dass mir Unterschiedlichkeit unangenehm sein kann oder sogar Angst macht.
Wie erlebst du Unterschiedlichkeit? Fühlt es sich eigenartig an, wenn da jemand anders aussieht, sich anders im Gottesdienst benimmt oder vielleicht sogar andere Auffassungen zu Glaube, Taufe und Gemeinde hat? Freust du dich, wenn alte Traditionen aufgegeben werden zugunsten neuer Formen?
Unterschiedlichkeit haben wir in unserer Gemeinde aufgrund des unterschiedlichen Alters, Familien, Glaubenshintergrund, Kulturen und Herkunft. Wie eine bunte Sammlung von Edelsteinen.
Unsere Unterschiedlichkeit ist uns allen glasklar vor Augen und niemand will den anderen ausgrenzen oder diskriminieren. Davon bin ich überzeugt, weil für uns alle der Grundsatz gilt: liebe deinen Nächsten, einerseits. Andererseits fühlt sich die Andersartigkeit meines Nächsten bedrohlich an. Er oder sie achtet den Altarraum nicht. Scheinbar ständig wird auf das Handy geschaut und der Gottesdienst ist zweitrangig. Gebete in einer fremden Sprache verstehe ich nicht und kann deswegen nicht Amen dazu sagen. Ich fühle mich unwohl, unbehaglich oder habe im schlimmsten Falle Angst.
Es kommt auch vor, dass ich über das Handeln des anderen ein Urteil fälle: “Das entspricht nicht der Bibel. Das ist überheblich oder respektlos gegenüber Gott.” Unterschiedlichkeit kann bedrohlich auf mich wirken. Das, was ich nicht kenne, empfinde ich als unsicher bis hin zu gefährlich. Woher soll ich wissen, was der andere in einer anderen Sprache betet? Neue, mir unbekannte Formen verdrängen Traditionen, die mir Halt geben. Der Gottesdienst und vielleicht die gesamte Gemeinde fühlt sich fremd an.
Wir sind über 100 verschiedene Personen im Gottesdienst und noch mehr Mitglieder. Das ist bunt wie ein Gemälde. Jeder mit anderer Biografie, Gottesbild, Traditionen, Charakter und Fähigkeiten. Unsere Gemeinde spiegelt damit in gewissem Sinne unsere Gesellschaft wider, in der es genauso ist: viele unterschiedliche Menschen treffen aufeinander.
Gott gibt uns in dieser Situation eine Perspektive. Der Fokus liegt auf unserem Auftrag: macht alle Menschen zu Jüngern. Dafür brauchen wir so unterschiedliche Menschen in unserer Gemeinde, wie sie auch außerhalb der Gemeinde sind. Unsere Unterschiedlichkeit verstehe ich als Ergänzung, die wir brauchen, um möglichst viele Menschen auch in unterschiedlichen Sprachen und Biografien zu erreichen.
Jesus hat bei seinem Auftrag alle Personen eingeschlossen, unabhängig von Sprache, Herkunft, Biografie, Sexualität oder Geschlecht. Wir alle mit unserer Unterschiedlichkeit sind Gottes Reich. Jeder von uns wird gebraucht, um das Reich Gottes zu bauen, mit seinen vielen verschiedenen Facetten. Jeder von uns braucht dafür einen Platz und Raum in der Gemeinde. Dies kann ein physischer Platz sein, so wie für Kinderräume oder das Café. Platz im Sinne von Zeit ist genauso wichtig: Zeiten für Gebet, Lobpreis, Lehre oder Gemeinschaft.
Wir brauchen Platz in unserer Vorstellung: Es gibt Menschen, die ein anderes Gottesbild haben oder ganz anders leben als ich. Und es braucht Platz in unserem Herzen: Wir können einander vergeben, wenn wir uns missverstehen und dadurch Verletzungen entstehen.